Oligarchie der Niedertracht
Die Causa Guttenberg wirft ein grelles Licht auf die Oligarchie der Niedertracht, die in unserem Land sich an die Macht gedrängt hat und alles erdrückt, wofür Generationen von aufrichtigen Menschen gearbeitet haben. Die Affäre zeigt, dass unsere Institutionen in ihrem Kern korrupt sind. Die Gefahr für unsere Freiheit und unsere Demokratie war nie größer.
Die Universität
Wissenschaftliche Redlichkeit ist keine Petitesse elitärer Zirkel, die sich um das richtige Zitieren von Quellen streiten, anstatt sich mit den wichtigen Dingen des Lebens zu beschäftigen. Wissenschaftliche Redlichkeit ist eine der Grundfesten unserer Gesellschaft. Wenn eine Frau zur Brustkrebsvorsorge geht, möchte sie die Gewissheit haben, dass der Arzt die Untersuchung aufgrund wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse vornimmt und nicht, weil er durch Anwendung einer bestimmten, vielleicht völlig nutzlosen Methode finanziell besonders profitiert. Wenn Wissenschaftler eine Technologie oder eine chemische Subtanz für unbedenklich erklären, dann wollen wir sicher sein, dass sie dieses Urteil aufgrund wissenschaftlicher Beweise fällen und nicht wegen eines Schecks, den sie von interessierter Seite bekommen haben. Wir fragen mit Recht nach, ob Wissenschaftler bei der Beurteilung einer Frage in einen Interessenkonflikt geraten oder unabhängig sind. Unredliche Wissenschaftler sind jedoch nie unabhängig!
Für die wissenschaftliche Redlichkeit haben Generationen von Menschen über Jahrhunderte hinweg gekämpft. Sie wurden dafür auf Scheiterhaufen verbrannt, in Gefängnissen totgeschlagen und in Konzentrationslagern ermordet. Ohne wissenschaftliche Redlichkeit gäbe es keinen wissenschaftlichen Fortschritt, weil wir ohne sie heute immer noch davon ausgehen würden, dass die Erde eine Scheibe ist.
Und bei Juristen, die sich während ihrer Laufbahn nicht nur ohne Ansehen der Person mit Dieben und Mördern beschäftigen müssen, sondern auch mit ihren Standesgenossen, den Steuerhinterziehern und Wirtschaftskriminellen, erwartet man ein besonders hohes Maß an Redlichkeit – ich betone ›man‹, denn die Universität Bayreuth erwartet dies offensichtlich nicht, weshalb sie bei der Abgabe einer Doktorarbeit auch gar nicht erst auf der eidesstattlichen Erklärung besteht, diese sei selbst verfasst und benutze keine anderen Quellen als die angegebenen. Wer wissenschaftliche Redlichkeit für einen übertriebenen Formalismus erachtet, der sollte sich vergegenwärtigen, dass Juristen aus der Universität Bayreuth auch zu Verfassungsrichtern werden können. Eine Vorstellung, die angesichts der Causa Guttenberg, blankes Entsetzen auslöst.
Eine Universität, die einem Adeligen den Doktortitel ›summa cum laude‹ für eine wissenschaftlich wertlose und in weiten Teilen geklaute Arbeit überreicht hat, die muss sich nach den Gründen für ihr Handeln fragen lassen. Stand der ihnen der schicke Adelige, der Bildzeitungs-Coverboy dafür kostenlos als Werbeträger zur Verfügung? Haben sie sich finanzielle Vorteile versprochen, wenn sie einem erfolgreichen Politiker den Doktortitel quasi schenken? Wie auch immer. Wir müssen wohl davon ausgehen, dass die Universität Bayreuth nicht nur den Dr h.c. (honoris causa) verleiht, sondern gerne auch den Dr. p.c. (pecuniae causa). ohne ihn jedoch entsprechend zu kennzeichnen.
Wenn Gefälligkeiten innerhalb der herrschenden Oligarchie das wissenschaftliche Handeln bestimmen, dann ist die Wissenschaft am Ende.
Die Bildzeitung
Guttenberg ist ein Geschöpf der Bildzeitung, er ist ihr Coverboy. Warum die Bildzeitung Guttenberg so rückhaltlos unterstützt, ist mir rätselhaft, aber es dürften keine redlichen Gründe sein. Von der Bildzeitung allerdings journalistische Redlichkeit einzufordern, wäre naiv. Sie bedient vor allem die Ressentiments ihrer Leser, aus welchen unredlichen Gründen auch immer. Die Zahl derjenigen, die meinen, Guttenberg mache seinen Job als Verteidigungminister gut, deckt sich sicher nicht zufällig mit der Zahl der Bildzeitungsleser in unserem Lande. Der Blender Guttenberg ist nicht deshalb bei den Bildzeitungslesern so beliebt, weil sie sich – ebenfalls überfordert eine Doktorarbeit zu schreiben – mit ihm identifizieren können. Sie stehen zu ihm, weil es so in der Bildzeitung steht. Wenn die Redaktion ihn fallen lässt, werden auch die Guttenberg-Jünger aus dem intellektuellen Prekariat von ihm abfallen.
Die echte Presse hat im Großen und Ganzen so von der Affäre berichtet, wie man es erwarten kann. Die Dynamik der Aufklärungsarbeit kam zwar auch diesmal wieder aus dem Internet, aber der Großteil der Medien hat verstanden, dass hier kein esoterisches Phänomen im Elfenbeinturm behandelt wird, sondern ein wesentlicher Bestandteil unserer Gesellschaft.
Die Politik
Es verwundert nicht im Geringsten, dass Merkel und die Koalition Guttenberg den Rücken stärken. Seine wissenschaftliche Unredlichkeit paart sich einfach zu gut mit ihrer politischen. Für diejenigen, die Lobbyisten einladen, Gesetze zu formulieren und Parteispenden mit Steuergeschenken vergelten, ist wissenschaftliche Redlichkeit nicht nur unwichtig, sondern ein Ärgernis. Die Wissenschaft könnte ihren Interessen in die Quere kommen. Wie in Gorleben. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Salzstock in Gorleben passen einfach nicht zu den Wünschen der Industrieoligarchie, weshalb sie durch Gutachten gutwilliger Gutachter ganz schnell neutralisiert werden müssen. Unabhängige Wissenschaft ist eine echte Gefahr für die korrupte Oligarchie, die Deutschland regiert. Die Wissenschaft darf höchstens das wissenschaftliche Hintergrundrauschen für das reibungslose Funktionieren der oligarchischen Selbstbereicherung liefern. Sie darf dekorative Zwecke auf den Briefköpfen von Politikern und Wirtschaftsbossen erfüllen, aber bei Gott nicht ihren eigentlichen Zweck, aufzuklären. Die Universität Bayreuth ist vermutlich nicht die einzige Universität, die sich demütig in dieser dekorativen Rolle gefällt. Sie ist wahrscheinlich nicht einmal eine Ausnahme. Wenn es im universitären Wissenschaftsbetrieb noch einen Rest von Selbstreinigungskräften gibt, die Frau Schavan in Bayreuth erkannt haben will, werden dort einige Professoren ihre Lehrstühle räumen müssen. Bis dahin hat die Universität jede Integrität verloren.
Dass Unredlichkeit und Charakterlosigkeit die Startvoraussetzung für eine politische Karriere ist, dürfte den meisten Bürgern schmerzlich bewusst sein. Guttenberg wurde als Gegenbild aufgebaut, als jemand der integer, aufrichtig, volksnah und ehrlich ist. Nun hat sich herausgestellt, dass er all das nicht ist. Die politische Klasse kann dadurch kaum noch ärger beschädigt werden. Und auch für Merkel, die die Interessen der Wirtschaftsoligarchie mittlerweile ganz offen bedient und die Floskeln zur Beruhigung der Bürger nur noch aus Gewohnheit herunterspult, ist dieser Skandal ebenfalls nicht gefährlich. Von ihr und der Regierung erwartet niemand Integrität, Aufrichtigkeit, Bürgernähe und Ehrlichkeit. Vermutlich geht sie am Ende gestärkt aus der Affäre. Ein Kanzlerkandidatenkandidat weniger.