Vergesst die Politiker!

Politiker sind die am meisten überschätzte Berufsgruppe. Es gibt kein Problem, dass sie nicht lösen sollen; und kein Thema, zu dem man sie nicht befragt. Dabei sind Politiker heutzutage weniger als je zuvor in der Lage, Probleme zu lösen. Und das liegt nicht nur daran, dass sie, egal zu welchem Thema man sie befragt, meistens vollkommen inkompetent sind. Es liegt vor allem an ihrer Stellenbeschreibung.

Wenn man sich vor Augen führt, was Politiker den lieben langen Tag tun bzw. tun sollen, so springt sofort ins Auge, dass man von ihnen keine Lösungen erwarten darf. Ihre zentrale Aufgabe als Abgeordnete in den Parlamenten besteht nämlich in der Formulierung von Gesetzen. Die meisten aktiven Politiker sind in der Legislativen tätig. Nur wenige wechseln in die Exekutive und werden Minister, Ministerpräsident oder Kanzler. Politiker schreiben von morgens bis abends an Gesetzen. Es ist daher kein Wunder, dass sie bei jedem Problem nach mehr oder schärferen Gesetzen schreien und bei jeder Frage, die man ihnen vorlegt auf Gesetze verweisen und deren Änderung, Ergänzung oder Beibehaltung fordern. Zur Lösung von Problemen trägt das natürlich nichts bei. Den Politikern daraus einen Vorwurf zu machen, ist zu kurz gesprungen. Sie in Talkshows einzuladen, in denen man über Probleme diskutiert, ist ein dramaturgischer Fehlgriff sondergleichen. Denn sie reden selbstverständlich wie jeder andere auch, am liebsten über das, was sie jeden Tag tun – und das ist nicht das Lösen von Problemen, sondern das Schreiben von Gesetzen.

Gesetze sind ihrem Wesen nach meist restriktiv und kommen als Verbote daher. »Du sollst nicht töten!« heißt es beispielsweise in einem sehr alten Gesetz. »Du sollst nicht ehebrechen! Du sollst nicht stehlen!« Gesetze legen Grenzen fest, innerhalb derer das allgemein akzeptierte Verhalten stattfinden darf. Du sollst in der Stadt nicht schneller als 50 km/h fahren! Du sollst keine Steuern hinterziehen! Du sollst deine Abwässer nicht ungeklärt in den Rhein leiten! Es ist eine Illusion zu glauben, dass man durch die Formulierung einer Grenze ein Problem lösen könnte. Man stellt es höchstens unter Strafe. Lösen kann man ein Problem nur, indem man eine Grenze überschreitet, durch Kreativität, durch eine Tat.

Die beiden großen Probleme von Tunesien und Ägypten, Ben Ali und Mubarak, sind nicht durch Gesetze beseitigt worden, sondern indem die Menschen gehandelt haben. Die Jagd auf Wale durch japanische Walfänger ist nicht durch Gesetze für diese Saison beendet worden, sondern durch die Tierschutzorganisation Sea Sheperd, deren Aktivisten die japanische Flotte in aggressiver Weise konsequent behinderten.

Es gibt zahllose weniger martialische Beispiele, die deutlich machen, dass wir von unseren Politikern entweder zu viel oder das Falsche erwarten. So empfinden viele die Macht von Google und Facebook als Problem. Man wirft beiden vor, zu viele private Informationen von ihren Nutzern zu sammeln. Die Politik reagiert darauf in ihrer üblichen Art und Weise. Sie schreit nach neuen Gesetzen und Verordnungen. Google und Facebook müssten sich an die deutschen Datenschutzverordnungen halten. Klar, Politikern fallen nur Restriktionen ein, die in ihrer Konsequenz dann nie die Gemeinten also Google und Facebook treffen, sondern die eigenen Unternehmen.1

Ganz sicher ist es aber auch keine Lösung, ein Problem aus der Welt zu schaffen, indem man es wie die Post-Privacy-Spakeria2 einfach ignoriert. Diese interessante Variante der fatalistischen Vogel-Strauß-Taktik macht es sich einfach, indem sie den Status Quo als gegeben ansieht und sich mit ihm arrangiert.

Wir brechen die Macht von Google und Facebook nur, indem wir etwas Besseres schaffen. Natürlich ist das nicht einfach, denn beide Unternehmen sind jedem Startup um einige Tausend Mannjahre Programmierarbeit voraus. Doch beide Firmen haben mit einem ähnlichem Rückstand angefangen. Etwas Besseres entsteht ganz sicher nicht, indem sich die Politik hin- und eine Projektgruppe einsetzt, die eine neue Suchmaschine programmieren soll.3 Und dass viele Startups an einem Facebook-Klon scheitern werden, sieht man am Diaspora-Projekt4, das nicht aus den Pötten kommt. Wir werden viele Versuche brauchen, um Google und Facebook zu knacken. Aber es ist nicht unmöglich!

Was sollte man nun von den Politikern erwarten? Sie sollten das tun, was sie am besten können (nein, nicht die Hand aufhalten, sondern) Gesetze schreiben, allerdings sollten sie dies mit einer neuen Zielstellung tun. Weniger ist mehr! Sie sollten den Ehrgeiz besitzen, schlankere Programme zu schreiben, die weniger Speicher und Rechenkapazität verbrauchen. Reduziert die Gesetzestexte um 30% – dann werdet ihr Geschichte schreiben! Dabei sollten die Politiker vor allem unsinnige Restriktionen abbauen und die Kreativität und Innovation dadurch fördern, dass sie sich aus kreativen und innovativen Prozessen möglichst raushalten. Sie sollten in sich gehen und über den Begriff Stellschraube nachdenken. Es gibt sie nämlich die Stellschrauben, mit denen scheinbar unerreichbare Ziele erreicht werden können. Die Einspeisevergütung im Erneuerbare-Energien-Gesetz5 ist bei aller Kritik im Detail ein gutes Beispiel, wie man Veränderungsprozesse unterstützen kann.

Von den Medien erwarte ich, dass sie nicht dauernd den Politikern hinterherrennen, um von ihnen ein austauschbares Statement zu einer austauschbaren Frage zu bekommen. Leute, zwischen Sendeanstalt und Bundespressekonferenz gibt es eine ganze Welt zu entdecken! Ich will auch keine Politiker und Lobbyisten mehr in den Talkshows sehen! Es gibt auch Menschen, die Lösungen erarbeiten!

Und von uns allen erwarte ich mehr Empörung6 und mehr Phantasie! 7

Hier noch ein köstliches Zitat im Post-Privacy-Spakeria-Zusammenhang von Kai Denker: »Muss man nicht schon gehörig einen an der protestantischen Klatsche haben, um zu glauben, dass die völlige Offenheit befreit und das allumfassende System der Algorithmen schließlich dem vergibt, der rechten Glaubens an die Weisheit der Algorithmik ist?«8

Literatur

Butcher, Mike: Stupid EU cookie law will hand the advantage to the US, kill our startups stone dead. In: TechCrunch. 2011. Internet: http://techcrunch.com/2011/03/09/stupid-eu-cookie-law-will-hand-the-advantage-to-the-us-kill-our-startups-stone-dead/. Zuletzt geprüft am: 13.9.2014.

Denker, Kai: Was die Spackeria (nicht) versteht. In: Kai Denker. 2011. Internet: http://denker.net/2011/03/10/was-die-spackeria-nicht-versteht/. Zuletzt geprüft am: 6.9.2014.

Diaspora (Software). In: Wikipedia. 2014. Internet: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Diaspora_(Software)&oldid=133474129. Zuletzt geprüft am: 13.9.2014.

Erneuerbare-Energien-Gesetz. In: Wikipedia. 2014. Internet: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Erneuerbare-Energien-Gesetz&oldid=133770628. Zuletzt geprüft am: 13.9.2014.

Internet-Exhibitionisten „Spackeria“: „Privatsphäre ist sowas von Eighties“. In: Spiegel Online (2011). Internet: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/internet-exhibitionisten-spackeria-privatsphaere-ist-sowas-von-eighties-a-749831.html. Zuletzt geprüft am: 13.9.2014.

Quaero. In: Wikipedia. 2014. Internet: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Quaero&oldid=132089228. Zuletzt geprüft am: 13.9.2014.

Stéphane Hessels Pamphlet Empört euch! In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (2011). Internet: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/stephane-hessels-pamphlet-empoert-euch-1580627.html. Zuletzt geprüft am: 13.9.2014.

Umlaufgesichertes Geld. In: Wikipedia. 2014. Internet: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Umlaufgesichertes_Geld&oldid=132408896. Zuletzt geprüft am: 13.9.2014.

Fußnoten


  1. Butcher, Mike: Stupid EU cookie law will hand the advantage to the US, kill our startups stone dead. In: TechCrunch. 2011. Internet: http://techcrunch.com/2011/03/09/stupid-eu-cookie-law-will-hand-the-advantage-to-the-us-kill-our-startups-stone-dead/. Zuletzt geprüft am: 13.9.2014. ↩︎

  2. Internet-Exhibitionisten „Spackeria“: „Privatsphäre ist sowas von Eighties“. In: Spiegel Online (2011). Internet: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/internet-exhibitionisten-spackeria-privatsphaere-ist-sowas-von-eighties-a-749831.html. Zuletzt geprüft am: 13.9.2014. ↩︎

  3. Quaero. In: Wikipedia. 2014. Internet: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Quaero&oldid=132089228. Zuletzt geprüft am: 13.9.2014. ↩︎

  4. Diaspora (Software). In: Wikipedia. 2014. Internet: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Diaspora_(Software)&oldid=133474129. Zuletzt geprüft am: 13.9.2014. ↩︎

  5. Erneuerbare-Energien-Gesetz. In: Wikipedia. 2014. Internet: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Erneuerbare-Energien-Gesetz&oldid=133770628. Zuletzt geprüft am: 13.9.2014. ↩︎

  6. Stéphane Hessels Pamphlet Empört euch! In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (2011). Internet: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/stephane-hessels-pamphlet-empoert-euch-1580627.html. Zuletzt geprüft am: 13.9.2014. ↩︎

  7. Umlaufgesichertes Geld. In: Wikipedia. 2014. Internet: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Umlaufgesichertes_Geld&oldid=132408896. Zuletzt geprüft am: 13.9.2014. ↩︎

  8. Denker, Kai: Was die Spackeria (nicht) versteht. In: Kai Denker. 2011. Internet: http://denker.net/2011/03/10/was-die-spackeria-nicht-versteht/. Zuletzt geprüft am: 6.9.2014. ↩︎