Warum Facebook so erfolgreich ist

Als der Tsunami in Japan die größte Atomkatastrophe nach Tschernobyl auslöste, wurde mir plötzlich klar, warum Facebook so erfolgreich ist und alle anderen sozialen Netze stagnieren.

Das Erdbeben und die Atomkatastrophe in Japan haben in Windeseile das Internet in Deutschland beherrscht. In wenigen Stunden war die atomare Bedrohung ›trending topic‹ auf Twitter. Und auf Facebook fand ich sofort mehrere Gruppen und Seiten, auf denen sich Atomkraftgegner versammelten und Demonstrationen und andere Protestaktionen organisierten. Auf Xing und Linkedin fand ich dagegen kaum etwas.

Auf beiden Plattformen ist man schließlich aus einem ganz bestimmten Zweck aktiv. Man möchte beruflich weiterkommen, Kunden akquirieren oder einen neuen Job finden. Und da niemand auf die Idee käme, bei einem Geschäftsmeeting einen Antiatomkraftsticker am Rever zu tragen, äußert man seinen Unmut über die Atommafia und die Regierung auch nicht auf den Karriereplattformen Xing und Linkedin, sondern auf Twitter und Facebook.

Facebook ist die einzige soziale Plattform, die keinen Unterschied zwischen dem öffentlichen und dem privaten Menschen macht. Sie spricht damit den ganzen Menschen an. Sie zerlegt ihn nicht in den smarten Karrieristen hier und den ökobewegten Atomkraftgegner dort. Auf Facebook ist man immer beides und zwar beides zur selben Zeit. Facebook ist daher so bunt und vielseitig, so banal und tiefsinnig wie das Leben selbst. Xing versprüht dagegen den Charme einer Versicherungszentrale und Linkedin ist wie das Schwarze Brett vor der Uni Mensa, unübersichtlich und – meistens – völlig nutzlos.

Ich würde heute als PR-Berater keinem Unternehmen raten, sich großartig auf Xing oder Linkedin zu engagieren. Bloß bei Facebook lohnt es sich, eine virtuelle Filiale einzurichten und sorgsam zu pflegen. Denn auf Facebook trifft man Menschen und keine Personality-Coaches. Hier braucht niemand eine Maske aufzusetzen wie in den angeblichen Karrierenetzwerken. Man tut einfach das, was man im Leben immer schon getan hat. Man verweist hier stolz auf seine beruflichen Leistungen, informiert sich dort über sein Hobby und stänkert in einem anderen Kontext über die aus Wendehälsen bestehende Bundesregierung. Auf Xing muss ich erst eine Krawatte umbinden, bevor ich meinen Status aktualisiere.

Diese Special-Interest-Ghettos haben meines Erachtens keine wirkliche Zukunft. Sie erfordern viel Aufmerksamkeit ohne einen Effekt zu zeigen. Auf Facebook dagegen kann ich so sein, wie ich bin. Damit entspreche ich sicher nicht dem Bild, das Personalchefs von den Mitarbeitern im Kopf haben, die sie gerade suchen. Und auch nicht dem Bild, das ich in meinem Xing-Profil von mir selber zeichne. Aber dafür bleibe ich authentisch.

Dieser Ansatz macht Facebook so erfolgreich. Facebook führt die zersplitterten, einseitigen und stromlinienförmigen Identitäten, die wir auf all diesen vielen Special-Interest-Seiten aufgebaut haben, wieder zusammen.1

Das Problem ist nur, dass Facebook damit das Internet wiederholt, das meine diversen Identitäten immer schon als Gesamtheit enthalten hat. Man muss nur in der Lage sein, eine Suchmaschine zu benutzen. Facebook ist ein Internet im Internet. Wie AOL in den 90er Jahren. Damals musste man den AOL-Nutzern erst mühsam erklären, dass es außerhalb des AOL-Angebots eine ganze Welt zu entdecken gab. Facebook macht heute etwas ähnliches und verdoppelt damit die gesamte Internet-Infrastruktur. Facebook ersetzt den E-Mail-Verkehr, es ersetzt die Homepages, die wir in den 90er Jahren so liebevoll pflegten, es ersetzt die Blogs der Nullerjahre, die Chat-Server, die Diskussionsforen, die Shops und die Unternehmens-Websites. Ein Großteil des IP-Verkehrs im Internet läuft innerhalb des Facebook-Universums ab. Facebook ist wie ein Krebsgeschwür, das zielstrebig in den Organismus Internet hineinwächst und sich selbst an die Stelle des Opfers setzt.

Die Gefahr dabei ist klar. Der öffentliche Raum wird privatisiert und Eigentum einer privaten amerikanischen Firma. Dagegen sollten wir uns mit Händen und Füßen wehren. Nur wie?

Die bisherigen Versuche, die bestehende Internet-Infrastruktur mit einem dezentralen sozialen Protokoll ins 21. Jahrhundert zu hieven, sind bisher gescheitert. Diaspora2, so mein Eindruck, wird von Dilettanten programmiert. Retroshare3 fühlt sich tatsächlich an wie Retrotechnik aus den 90er Jahren. Wave4 ist ein Java-Monster, das niemand – nicht einmal Google – ernsthaft auf seinen Servern installieren und pflegen möchte. Und Google Circles wird ganz sicher kein dezentraler Ansatz werden.

Ich bin kein Freund von öffentlichen Subventionen, aber das Ziel eines dezentralen sozialen Protokolls wäre eine Ausnahme wert. Da Facebook und Google davon leben, den IP-Verkehr auf ihren Servern zu monopolisieren, ist von dieser Seite keine Unterstützung für eine dezentrale Lösung zu erwarten – auch wenn das mit Wave einmal suggeriert wurde. Die Bundesregierung, die immer so gerne gegen Google und Facebook giftet, sollte sich einmal fragen, was und wen sie darin unterstützen könnte, für eine funktionierende Alternative zu sorgen. Doch aus dieser Richtung Kreativität statt De-Mail und Überwachungswahn zu erwarten, ist wohl naiv. Ich bin ein Feind von EU-Projekten, wo schwerfällige Totgeburten vorprogrammiert scheinen. Dennoch sollte man auch auf internationaler Ebene dezentrale Lösungen anstreben.

Verdammt noch mal, in Zeiten von IPv6, wo selbst mein Kugelschreiber eine eindeutige IP bekommt, sollte es doch möglich sein, ein dezentrales soziales Netzwerk zu schaffen, das Facebook alt aussehen lässt.

Literatur

Diaspora. In: Diaspora*. 2011. Internet: https://joindiaspora.com. Zuletzt geprüft am: 23.9.2014.

Herbold, Astrid: Netiquette: Die Zentralisierung der Identität. In: Die Zeit (2011). Internet: http://www.zeit.de/digital/internet/2011-04/identitaet-internet/komplettansicht. Zuletzt geprüft am: 4.9.2014.

Installation - Google Wave Federation Protocol. 2011. Internet: http://www.waveprotocol.org/code/installation. Zuletzt geprüft am: 23.9.2014.

RetroShare. 2011. Internet: http://retroshare.sourceforge.net/. Zuletzt geprüft am: 23.9.2014.

Fußnoten


  1. Diesen Zusammenhang beschreibt auch die ZEIT in: Herbold, Astrid: Netiquette: Die Zentralisierung der Identität. In: Die Zeit (2011). Internet: http://www.zeit.de/digital/internet/2011-04/identitaet-internet/komplettansicht. Zuletzt geprüft am: 4.9.2014 ↩︎

  2. Diaspora. In: Diaspora*. 2011. Internet: https://joindiaspora.com. Zuletzt geprüft am: 23.9.2014. ↩︎

  3. RetroShare. 2011. Internet: http://retroshare.sourceforge.net/. Zuletzt geprüft am: 23.9.2014. ↩︎

  4. Installation - Google Wave Federation Protocol. 2011. Internet: http://www.waveprotocol.org/code/installation. Zuletzt geprüft am: 23.9.2014. ↩︎