Der Paradigmenwechsel ist da
Die Grünen sind auf dem Weg, die stärkste politische Kraft in Deutschland zu werden. In Baden-Württemberg liegen sie vor der SPD, in Bremen vor der CDU. Die Grünen haben sich als Volkspartei etabliert, der Paradigmenwechsel ist da.
Während sich die Wähler zurzeit von SPD und CDU/CSU in Scharen abwenden, taumeln die Grünen von Wahlsieg zu Wahlsieg. Es scheint so, als könnten sie im Moment nichts falsch machen. Auch ohne überzeugende Personen an der Spitze sind sie erfolgreich. Sie sind zur dritten Volkspartei in Deutschland geworden. Um zu verstehen, dass dieser Erfolg kein Strohfeuer ist, muss man sich anschauen, warum der Stern der anderen Parteien sinkt.
Über den Niedergang der Sozialdemokratie ist bereits viel geschrieben worden. Das Fazit lautet kurzgefasst: Die soziale Klasse, von der die SPD einst getragen wurde, ist verschwunden. Die SPD ist wie die Kommunistische Partei ein Produkt der Industrialisierung. Sie ist die Vertreterin der proletarischen Klasse in den Industriestädten des 19. Jahrhunderts, ein Teil der Arbeiterbewegung. In diese machtvolle Bewegung war die Sozialdemokratie eingebettet. Mit dem Verschwinden der Arbeiterklasse verebbte auch die Arbeiterbewegung, als deren letzte späte Blüte die bereits von der Arbeitswelt isolierte Studentenbewegung von 1968 anzusehen ist. Seitdem agiert die SPD als Technokrat im Sozialstaat. Und für manche Kritiker ist sie durch ihre Hartz-IV-Gesetzgebung unter Schröder zu seiner Konkursverwalterin geworden.
Die Misserfolge der CDU werden bisher einer Kanzlerin angelastet, deren hervorstechendes Merkmal das Aussitzen von Problemen ist. Eine Eigenschaft, die sie von ihrem politischen Ziehvater Helmut Kohl gelernt hat. Eine historische Analyse des Niedergangs fand bisher nicht statt. Dabei gilt auch für die CDU, dass sie ihr politisches Haltbarkeitsdatum erreicht hat.
Blicken wir zurück. CDU und CSU wurden nach dem Ende der Hitlerdiktatur als Auffangbecken für Nazis und alle konservativen Kräfte in Deutschland gegründet. Die CDU steht nicht in der Tradition der Zentrumspartei, die sich als Vertreterin des katholischen Deutschlands begriff. Die CDU ist überkonfessionell. Das Adjektiv ›christlich‹ markiert vielmehr den kleinsten gemeinsamen Nenner eines durch seine Hitler-Verehrung durch und durch korrumpierten Bürgertums, das sich bewusst von der Arbeiterklasse und dem sozialistischen Osteuropa abgrenzen wollte.
Die CDU wurde nach dem Krieg zur Partei des Wiederaufbaus, zur Partei des Wirtschaftswunders, zur Partei des kontinuierlichen Wirtschaftswachstums und schließlich zur Partei der blühenden Landschaften. Wohlstand durch Wirtschaftswachstum lautet ihre Ideologie, zu der die SPD mit ihrem Ruf nach Wohlstand für alle die politische Ergänzung lieferte.
Jahrzehntelang zogen CDU/CSU und SPD am gleichen Strang, der mit dem Begriff der ›sozialen Marktwirtschaft‹ umschrieben werden kann. Nur darf man die Ideologie der Bonner Parteien – eine treffende Bezeichnung für CDU/CSU, SPD und FDP – nicht mit der Wirklichkeit verwechseln. Wir leben nicht in einer sozialen Marktwirtschaft, sondern in einem stark monopolisierten Kapitalismus. Doch dies ist hier nicht unser Thema.
Die letzten 150 Jahre zeichneten sich trotz aller Feindschaft zwischen den Nationen und den sozialen Klassen durch eine allen gemeinsame Großideologie aus, die mit drei Begriffen umschrieben werden kann: Wachstum, Wachstum, Wachstum.
CDU/CSU und SPD sind Wachstumsparteien. Die Ideologie des wirtschaftlichen Wachstums durchzieht alle gesellschaftlichen Strömungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Es ist heute noch die herrschende Ideologie in China und Indien sowie in allen Schwellen- und Entwicklungsländern.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannten die Menschen in den industrialisierten Ländern, dass dieses dauernde Wirtschaftswachstum unseren Planeten zerstören wird. Die Grenzen des Wachstums wurden sichtbar.
Nach zögerlichen Anfängen im Naturschutz markierte der vom amerikanischen Präsidenten in Auftrag gegebene Bericht ›Global 2000‹ den notwendigen Paradigmenwechsel. Die Grünen schrieben sich diesen Paradigmenwechsel auf ihre Fahnen.
Was in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts nur eine kleine Gruppe von Menschen bewegte, steht nun auf der Agenda des ganzen Volkes: Überleben im 21. Jahrhundert. Rettung des ökologischen Gleichgewichts auf unserem Planeten. Diesem Ziel hat sich zukünftig alles andere unterzuordnen, denn unsere Zeit ist abgelaufen. Wir können nicht mehr wie Merkel abwarten und darauf hoffen, dass sich das Problem von selbst erledigt. Wir müssen handeln. Jetzt! Und dies ist mittlerweile allen Menschen klar geworden.
Wahlforscher sprechen gerne von den langfristigen Bindungen an eine Partei, die tagespolitische Stimmungen ausgleichen. Was sie damit meinen, ist nichts anderes als die ideologische Verankerung des Wählers und der Parteien. Wer immer noch insgeheim der Ideologie des unbegrenzten Wachstums anhängt, wird eher dazu neigen CDU/CSU und SPD zu wählen. Wer mit der Skepsis gegenüber dieser Ideologie aufgewachsen ist, wählt die Grünen.
Es ist deshalb journalistischer Blödsinn, wenn behauptet wird, die Grünen seien bürgerlich geworden. Vielmehr ist es so, dass die Mehrheit der Bevölkerung den Paradigmenwechsel, für den die Grünen als Partei seit jeher stehen, mittlerweile vollzogen hat.
Dass der Paradigmenwechsel da ist, zeigt sich daran, dass nicht nur die SPD einige grüne Positionen vertritt, sondern inzwischen auch die CDU und die CSU auf den Zug aufspringen und beispielsweise die Atomkraftwerke in näherer Zukunft abschalten wollen. Doch sie können damit nicht überzeugen, denn sie stehen als Partei nicht für den Paradigmenwechsel. Sie können bloß noch diejenigen Personen auffangen, die zwischen den beiden Paradigmen hin- und herschwanken. Im Grunde gehören CDU/CSU und SPD der Vergangenheit an. Wenn es eine Zukunft gibt, so gehört sie den Grünen.
In der nächsten Sudelei suche ich nach einem möglichen Paradigmenwechsel, von dem irgendwann einmal die Piratenpartei profitieren könnte.