Angst vor allem, was sich bewegt
Paradoxe Stimmung in Deutschland. Das Institut Allensbach hat im Auftrag der SPD-Bundestagsfraktion eine Meinungsumfrage gemacht, die bei den Deutschen eine sehr paradoxe Stimmungslage ausmacht hat. Die übergroße Mehrheit glaubt, dass es dem Betrieb, in dem man arbeitet, gut oder sehr gut gehe. Mit seiner eigenen wirtschaftlichen Lage ist man zufrieden und Angst um den Job haben nicht einmal die Ostdeutschen. Dennoch schauen nur 36 % der Befragten dem kommenden Jahr mit Hoffnungen entgegen. Die Deutschen haben so gut wie vor allem Angst, was sich bewegt: vor Flüchtlingen, vor Terroristen, vor internationalen Krisen, ja selbst vor Veränderungen in der Gesellschaft.
Man sollte einmal das Psychogramm des angstgestörten Wohlstandsbürgers mit dem eines traumatisierten Flüchtlings vergleichen. Vielleicht blicken Menschen, die vor Krieg und Gewalt, vor Hunger und Elend fliehen, trotz der Ernüchterung, die sie im Wunderland Europa überfallen haben muss, sehr viel positiver in die Zukunft als wir.
Geht es den Deutschen vielleicht zu gut? Wissen wir unterbewusst, dass es so nicht mehr weitergehen kann? Eine solche Vorstellung würde immerhin von Statistiken gestützt, die besagen, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik die junge Generation wirtschaftlich schlechter gestellt sein wird als die Generation ihrer Eltern. Es geht uns gut. Noch! Es kann nur schlechter werden.
Gegen diese Wohlstandskrise der jungen Generation kann man vernünftigerweise kaum etwas tun. Denn wenn wir unseren Planeten nicht völlig zerstören wollen, müssen wir kürzer treten. Da ist kein Platz mehr für Wachstum! Wir plündern die Ressourcen unseres Planeten so hemmungslos und gierig aus, als wenn wir zwei Ersatzplaneten zur Verfügung hätten.
Wir erkennen heute, dass nicht nur die klassischen und die neoliberalen Wohlstandsversprechen des Kapitalismus gelogen waren, weil nur die Reichen davon pofitieren. Mehr und mehr Menschen spüren auch die ökologischen Grenzen, die der Wachstumsgier des Kapitalismus gesetzt sind. Und da entsteht schnell der Eindruck, dass es nur noch abwärts gehen kann.
Es könnte sich sogar Panik verbreiten, denn bei uns allen hat sich der Eindruck verfestigt, dass es zum Kapitalismus keine Alternative gibt. Besser werden könnte es nur, wenn wir uns an den Reichtum der Reichen heranwagen würden, was sich aber niemand traut. Alle haben sich damit abgefunden, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Und dann sollen die Armen auch noch mit den noch Ärmeren teilen. Da die Reichen als übermächtig empfunden werden, also ein Gegner sind, mit dem man sich nicht anlegt, bleibt nur der noch Ärmere als Gegner im Verteilungskampf übrig. Noch leben wir im Überfluss, aber alles, was der Flüchtling bekommt, wird vom AfD-Wähler neidisch und missgünstig beäugt. Man besteht darauf, dass die Deutschen im Kampf der Armen mit den noch Ärmeren bevorzugt werden. Denn nur so kann man verhindern, dass man sich zu den Reichen und Superreichen umschauen muss, vor Neid erblasst und vor Scham in der Erde versinkt. Denn tatsächlich sollten wir uns in Grund und Boden schämen, dass wir uns so widerstandslos von den Reichen ausplündern lassen.
Im Freitag wird heute gefragt, wo der Klassenstolz bliebe? Wenn die Linken die kleinen Leute noch erreichen wollten, müssten sie ihre Sprache ändern. Das mag alles sein. Aber es wäre besser, wenn sie ihre Politik änderten und den Menschen ein neues Projekt anböten. Es gibt keine Klassen mehr, der Neoliberalismus hat uns zu atomisierten Individuen gemacht, zu einer leicht beeinflussbaren Verfügungsmasse in der Produktion und im Konsum. Es macht aber keinen Sinn, den Zeiten hinterher zu trauern, in denen unser starker Arm irgendwelche Räder stillstehen ließ.
Es kann heute nur noch ein Projekt geben, für das es sich lohnt, zu kämpfen: die Rettung der Welt. Die kommende Massenbewegung wird entweder aus einem angstgestörten Mob bestehen, der die Schwächsten der Schwachen totschlägt, oder aus Menschen, die gemeinsam, solidarisch und selbstbestimmt in eine ärmere und nachhaltigere Zukunft gehen.