Von den Taliban lernen
Niemand lässt ein gutes Haar an den bärtigen Männern in Kabul. Dabei haben die Taliban den ausländischen Besatzern, am Ende sehr viel schneller, als diese es erwartet hatten, die Tür gezeigt, durch die sie verschwinden sollten. Dieser Sieg ist wenigstens aus unbefangen historischer Sicht eine kleine Anerkennung wert.
Fast 20 lange Jahre haben sich die Taliban gegen eine technisch weit überlegende Militärmacht aufgelehnt und diese schließlich in die Knie gezwungen. Die USA, die aus purer Rachsucht, das Volk am Hindukush überfallen hatten, mussten wie geprügelte Hunde abziehen und mit ihnen ihre Verbündeten. Fast 20 Jahre lang hatten sie an den Afghanen Vergeltung geübt für das ikonische 9/11; in einer Weise, die jedes alttestamentarische Maß überstieg. Nicht Auge um Auge und Zahn um Zahn, sondern 50 afghanische Augen für ein amerikanisches: so groß war ihr Zorn. 150.000 Afghanen mussten sterben, bis der Blutdurst der Amerikaner gestillt war, der heute vor 20 Jahren durch 3000 Tote geweckt wurde, die das World Trade Center unter sich begrub.
Dass die Amerikaner ihre Mordlust als zivilisatorische Entwicklungshilfe titulierten, ist leider keine zynische Entgleisung von besonders gewissenlosen US-Präsidenten. Das ist der Gründungsmythos des Abendlandes, das auszog, die Welt zu überfallen, Völker und Kulturen zu vernichten, ihre Reichtümer zu plündern und den Planeten zu verwüsten. Am 11. September 2001 schlug ein millionster Teil der Gewalt, die der Westen Jahrhunderte lang der übrigen Welt angetan hatte, auf die USA zurück, den aktuellen Hegemon dieses nimmersatten Abendlandes. Die Zivilisierung der Welt durch den Kolonialismus war ein durch religiöse Verblendung, kulturelle Hybris und wirtschaftliche Gier völlig enthemmtes Zerstörungswerk. Und wenn man sich die maßlose Arroganz des Westens anschaut, der nicht aufhört, anderen Völkern Lehren zu erteilen, so will das auch niemand auf absehbare Zeit ändern. Das Abendland betrachtet sich am liebsten selbst im Spiegel, denn für anderes ist es ohnehin blind.
Und dieses blindwütige Abendland, dass sich als krönenden Abschluss der Geschichte begreift, haben die Taliban nun aus dem Land geworfen. Allerdings, und das ist die tragische Dialektik dieses Sieges, haben sie ihn mit den Waffen des Westens errungen und zwar nicht nur mit westlichen Waffen und westlichem Sprengstoff, sondern auch mit der westlichen Taktik eines ideologischen Guerillakriegs. Der Sieg über den Westen ist mit Verwestlichung erkauft. Vielleicht rührt daher der anachronistische Zug des Islamismus, der die Menschen in Todesangst versetzen muss, um ihnen Gottesfurcht einzuprügeln.
Die Bishnoi dieser Welt, und es gibt viele von ihnen, überall auf der Welt, können diesen Weg nicht gehen, ohne aufzuhören, Bishnoi zu sein. Denn siegen bedeutet, verloren zu sein.