Den Erlöser malen
Den Erlöser zu malen, gelingt nicht auf Anhieb. Selbst die besten Ikonenmaler rangen Jahre lang in der Zurückgezogenheit ihrer Klöster mit sich und der Farbe, bis sie das Antlitz des Erlösers endlich auf Holz bannen konnten. Die Konvention sollte ihnen helfen, Heiliges zu schaffen. Die Befolgung strenger Regeln versprach Erfolg. Eine lautete, sich in die Erlösungsgeschichte zu versenken, das Malen als Gebet aufzufassen. Und so malten die Mönche den Erlöser als Meditation und in Serie.
Alexej von Jawlensky, der von der russischen Ikonenmalerei beeinflusst war und heute als Wegbereiter der seriellen Kunst gilt, hat das Serielle also nicht erfunden. Er hat es erlitten. Seine Meditationen sind großen Schmerzen abgerungen. In den tausend dunklen Bildern glüht die Hoffnung von ihnen einmal erlöst zu werden.
Aber anstelle des Erlösers hat sich der Herzschlag Jawlenskys in die Bilder eingeschrieben. Stundenlang trug der leidende Maler mit unendlich langsamen Bewegungen, die durch seinen Herzschlag erschüttert wurden, die Farbe in meist senkrechten Strichen auf das Papier auf. Er war wegen seiner Arthritis kaum noch fähig, sich zu bewegen. Vor der Staffelei sitzend, die Palette auf den Knien, hielt er den Pinsel in beiden brennenden Händen, ließ ihn langsam über das Papier gleiten und wurde so selbst zum Schmerzensmann. Nirgends ist man dem Erlöser näher als vor einem Bild des späten Jawlensky. Allein deshalb lohnt sich die Fahrt nach Wiesbaden.