Taktisch grün wählen!

Auch wenn es weh tut. Wir sollten uns diesmal hinter Robert Habeck versammeln und der Partei Bündnis 90 / Die Grünen das bestmögliche Wahlergebnis verschaffen. Alle Alternativen sind dystopisch und werfen uns im Kampf für eine gerechte und ökologische Welt um Jahrzehnte zurück. Mit einem Wahlsieg der Grünen bei vorgezogenen Neuwahlen wird weder der Kommunismus heraufziehen, noch sofort das klimaneutrale Paradies über uns kommen. Aber wir haben nicht nur das Schlimmste verhindert, wir machen damit auch konkrete Fortschritte möglich. Warum?

Die Grünen sind die einzige politische Kraft von einiger Größe, die eine fortschrittliche Industriepolitik macht. Sie wollen die sozioökologische Transformation vorantreiben und versuchen die zwei Jahrzehnte, die wir durch korrupte Verbrennerparteien verloren haben, aufzuholen. Keine andere Partei von relevanter Größe und der Möglichkeit, auch im bürgerlichen Lager zu punkten, hat ein ähnlich fortschrittliches Industrieprogramm. Sie folgen damit, vermutlich unwissend, dem marxistischen Entwicklungsgesetz und sind sich darüber hinaus der Stoffkreisläufe bewusst, die durch den Kapitalismus aus dem Ruder geraten sind.1

Anders als Union, SPD und FDP haben sie bereits vor Jahrzehnten angefangen, fortschrittliche Technologien zu fördern (EEG). Sie haben dabei zwangsläufig ein Bewusstsein für die realwirtschaftlichen Zwänge entwickelt. Sie wissen, dass nur eine Industrialisierung grüner Technologien die Kosten senken kann und dass dies am Anfang politisch gefördert werden muss. Leider blieben sie nie lang genug an der Macht, um ihre Ziele umfassend zu erreichen.

Während die anderen Parteien eine grüne Industrialisierung in Deutschland, wo immer sie konnten, sabotierten, haben die marxistisch geschulten Chinesen den Trend der Zeit erkannt und begannen grüne Zukunftstechnologie massiv zu fördern. Die KP Chinas hat es durch eine entschlossene Industriepolitik vermocht, die Stückkosten so drastisch zu senken, dass die neuen Technologien plötzlich für jedermann erschwinglich wurden. Heute sitzen die führenden Hersteller von Solarmodulen und Elektroautos im sozialistischen China.

Es ist für die Klimawende und die Wirtschaft unerlässlich, dass Deutschland Anschluss hält und, am besten gemeinsam mit den anderen Europäern, entschlossen eine grüne Industriepolitik umsetzt. Ansonsten versinkt Europa als industrielle Brache in völliger Bedeutungslosigkeit. Und ohne eine florierende Wirtschaft werden wir die sozialen Turbulenzen der ökologischen Transformation, die ohnehin kommt, nicht bewältigen können.

Wir dürfen uns keine Illusionen machen. Ein Wahlsieg der korrupten Verbrennerparteien hilft niemandem. Ein Wahlsieg rechtsradikaler Parteien wäre eine Katastrophe. In dieser Situation eine Splitterpartei zu wählen, mit der man zu 150 % übereinstimmt, beruhigt vielleicht das eigene Gewissen. Aber man wird die Ruhe des Gewissens nicht lange genießen können. Denn mit einem Sieg der Union oder der Faschisten schlägt die Tür zur Zukunft zu. Ein Sieg der Grünen dagegen hielte einen Spalt offen. Wir hätten die Chance, uns besser zu organisieren.

Diesmal die Grünen zu wählen, ist keine Frage der Überzeugung. Es ist eine taktische Entscheidung, die den Faschismus verhindert und uns damit weitere Optionen offenhält. Es ist eine taktische Entscheidung, die uns hilft, die überlebenswichtigen Klimaziele weniger drastisch zu verfehlen, denn zwischen den Forderungen des Club of Rome und dem grünen Programm gibt es Übereinstimmungen.2 Und es ist eine taktische Entscheidung, die den industriellen Niedergang Europas abbremsen kann, um uns wirtschaftliche Handlungsfähigkeit zu erhalten.

Strategisch brauchen wir sehr viel mehr. Aber nur, wenn wir jetzt taktisch klug agieren, gewinnen wir erst die notwendigen strategischen Handlungsoptionen für die ganz große Transformation.


  1. Saitō, Kōhei: Systemsturz: der Sieg der Natur über den Kapitalismus. Übers. v. Gregor Wakounig. München 2023. ↩︎

  2. Rome, Club of: Earth for All: Ein Survivalguide für unseren Planeten. Der neue Bericht an den Club of Rome, 50 Jahre nach »Die Grenzen des Wachstums«. Übers. v. Barbara Steckhan/ Rita Seuß. München 2022. ↩︎